Perspektiven nach Davos

Neoliberale Weltordnung. Auswirkungen, Widerstand und Alternativen

Perspektiven nach Davos  

Eine Veranstaltungsreihe in Bern, Januar 2003

 

Presse: saemann

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aus http://www.saemann.ch/aktuell.html

 

Januar 2003

Open Forum Davos: Brückenschlag? Feigenblatt?

Herr Raiser, wieso fahren Sie nicht nach Davos?

Brückenschlag? Feigenblatt?

Der Dialog mit dem WEF ist sinnvoll: Das jedenfalls finden acht kirchliche und Nichtregierungsorganisationen, darunter der Kirchenbund SEK und Brot für alle - sie führen in Davos Diskussionen mit dem World Economic Forum durch. Nicht alle sind glücklich darüber.

Nach einem Gastspiel in New York findet das World Economic Forum (WEF) dieses Jahr wieder in Davos statt: Vom 23. bis 28. Januar werden sich rund 2000 Staats- und Unternehmenschefs, Manager und Minister, Wichtige und Mächtige dieser Welt zum Gedankenaustausch treffen.
Globalisierungskritiker und WEF-Gegnerinnen pflegen während solcher Jahrestreffen jeweils Alternativveranstaltungen durchzuführen. So auch 2003: The Public Eye on Davos, koordiniert von der Erklärung von Bern, wird in Davos eine Konferenz durchführen, an der unter anderen der ehemalige deutsche Finanzminister Oskar Lafontaine und der Chief Executive Officer (CEO) von Nike teilnehmen und über gerechtere, nachhaltigere Wirtschaftsmodelle diskutieren sollen. Das Oltner Bündnis, getragen von Gewerkschaften, linken Parteien und der Religiös-sozialistischen Vereinigung, organisiert für den 25. Januar in Davos eine Grossdemonstration. In Bern werden «Perspektiven nach Davos» gesucht (hier macht auch die OeME-Kommission der Stadt Bern mit), in Porto Alegre, Brasilien, geht gleichzeitig der Weltsozialgipfel über die Bühne, an dem auch der Generalsekretär des Weltkirchenrats teilnimmt (vgl. Interview), und auf dem Berner Bundesplatz organisiert die Bethlehem Mission Immensee am 22. Januar eine Aktion mit 6000 Paar Schuhen: als Symbol dafür, dass während des sechstägigen WEF-Treffens allein in Kolumbien 6000 Frauen, Männer und Kinder vertrieben werden.

Ein dritter Weg?
Hier das WEF, dort dessen Gegenspieler: So wars bislang. Heuer nun gibt es noch etwas drittes: das Open Forum Davos, das vom WEF und acht Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und kirchlichen Werken gemeinsam durchgeführt wird. Die Gesellschaft Schweiz-Uno, die Max-Havelaar-Stiftung, die Schweizerische Friedensstiftung, das Schweizerische Rote Kreuz, Terre des hommes, der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK), das Hilfswerk Brot für alle (Bfa) und die indische Self-Employed Women Association werden zusammen mit dem WEF während des Jahrestreffens erstmals öffentliche Diskussionsrunden in Davos durchführen: Die TeilnehmerInnen der sieben Panels - diese drehen sich um die Anliegen der beteiligten NGOs: fairer Handel, Ethik, Migration, Kinderrechte - werden zu gleichen Teilen vom WEF und der co-organisierenden NGO gestellt, das WEF übernimmt die Logistik, die Moderation liegt in Händen populärer Schweizer JournalistInnen. Dass das WEF der neuen Plattform eine grosse Bedeutung beimisst, zeigt sich schon bei der Rekrutierung der Panel-Teilnehmer: Pascal Couchepin und Joseph Deiss aus Regierungs-, Peter Brabeck-Lethmathe (CEO Nestlé) und Daniel Vasella (CEO Novartis) aus Wirtschaftskreisen wurden aufgeboten, selbst Uno-Generalsekretär Kofi Annan will ans Forum fahren.

Zeit des Dialogs ist gekommen
«Es ist keine Partnerschaft», zerstreut Christoph Stückelberger von Brot für alle Bedenken, die beteiligten Institutionen würden sich vom WEF vereinnahmen lassen: «Wir behalten unsere Unabhängigkeit.» Auf die Dialogverweigerung anderer NGOs angesprochen, sagt der Theologe: «Manchmal ist es Zeit für Konfrontation, manchmal ist es Zeit fürs Gespräch.» Hans-Balz Peter, Leiter des Instituts für Sozialethik (ISE) beim SEK, spricht vom Versuch eines «Brückenschlags über die Kluft zwischen dem WEF und seinen Kritikern». Trotzdem werde man nicht einfach bloss brav Händchen schütteln mit den WEF-Leuten, sondern auch streiten, und ob und wie es nächstes Jahr weitergehe, sei so offen wie das Forum selbst.
So weit, so ehrenwert. Dennoch hat das Zusammengehen auch Irritation und Verstimmung ausgelöst - vorab unter den vielen nicht eingeladenen, nicht informierten Organisationen. Warum gerade die und nicht auch noch andere? Warum der SEK, aber nicht die Bischofskonferenz? Warum Brot für alle (ref.), aber nicht Fastenopfer (röm.-kath.)? Wer hat überhaupt eingeladen? Und nach welchen Kriterien?
«Ich sehe schlicht kein System hinter den Anfragen», stellt Peter Niggli von der (nicht kontaktierten) Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke (Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas, Heks), nüchtern fest: «Die Gesellschaft Schweiz-Uno, die mitnichten globalisierungskritisch ist, gehört ebenso zu den Veranstaltern wie Brot für alle, das auch in Porto Alegre zugegen sein wird.» Auch die Arbeitsgemeinschaft setzt auf den Weltsozialgipfel.
«Befremdet» ist Caritas, die gemäss Odilo Noti, Leiter Kommunikation, «von der ganzen Sache aus der Zeitung erfahren» hat. Caritas ist vom Alleingang und dem «unkoordinierten Vorgehen» enttäuscht und hätte von Brot für alle erwartet, in der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke erst eine Diskussion zu initiieren.
Kurz angebunden ist Agnell Rickenmann von der Schweizerischen Bischofskonferenz: «Wir sind vom SEK weder informiert noch eingeladen worden - es ist mir nicht ganz klar, warum», jedenfalls möge er sich dazu nicht weiter äussern.

Keineswegs «antiökumenisch»
Hans-Balz Peter legt Wert auf die Feststellung, dass der SEK bloss mit Brot für alle verhandelt habe, sämtliche NGOs aber vom WEF angefragt worden seien, «nach welchen Kriterien, entzieht sich meiner Kenntnis». Die Idee zum Open Forum sei ja seinerzeit von SEK-Ratspräsident Thomas Wipf geäussert und von Klaus Schwab aufgegriffen worden. «Dann ging alles sehr schnell - schon nur die interne Meinungsbildung in SEK und Bfa brauchte viel Zeit.» Weitere Anfragen auf kirchlicher Seite hätten die Sache verkompliziert. «Da stehen aber nicht antiökumenische, sondern zeitliche Motive dahinter.»
Vom SEK vor vollendete Tatsachen gestellt worden sind auch die Mitgliedskirchen. Samuel Lutz, Synodalratspräsident der Reformierten Kirchen Bern-Jura, findet das Vorgehen zwar «ein bisschen unglücklich», ist aber froh, dass der SEK handle, und traut «den Leuten zu, dass sie kritisch genug sind». Besonders am Resultat ist Lutz interessiert - derzeit läuft ja in der Berner Kirche, ausgelöst durch den legendären Satz von OeME-Mitarbeiter Matthias Hui («Der Dialog mit dem WEF ist sinnlos»), eine Diskussion über den reformierten Standpunkt zur Globalisierung.

Profitiert nur das WEF?
Mehr Mühe hat Pfarrer Jürg Liechti von der OeME-Kommission der Stadt Bern - wenn auch aus anderen Gründen: Zum einen befürchtet er, das Offene Forum werde zu einer Konkurrenz der Public-Eye-Veranstaltungen und schwäche die globalisierungskritische Bewegung, zum anderen fehlt ihm hinter dem Vorgehen des SEK «eine Strategie», und drittens weist er darauf hin, dass «das WEF in den letzten Jahren wegen der heftigen Gegenbewegung mit grossen Legitimitätsproblemen kämpfte. Es ist zu befürchten, dass das Open Forum Davos - nicht in der Absicht aller Protagonisten, aber unter dem Strich - zur Stärkung des WEF beitragen wird.» Ähnlich äussert sich auch Peter Niggli: «Was das WEF mit dem Open Forum erreichen kann, ist klar: eine Imagekorrektur. Was die NGOs und Hilfswerke rausholen können, weiss ich beim besten Willen nicht.» Martin Lehmann

www.worldeconomicforum.ch
www.sek-feps.ch
www.publiceyeondavos.ch
www.bethlehem-mission.ch
www.perspektivennachdavos.tourdelorraine.ch
www.oltnerbuendnis.ch

 

Herr Raiser, wieso fahren Sie nicht nach Davos?

Wie sollen die Kirchen mit der Globalisierung und dem WEF umgehen? - Fragen an Konrad Raiser, Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK).

Herr Raiser, nachdem Sie letztes Jahr am World Economic Forum (WEF) in New York teilgenommen haben, reisen Sie heuer nicht nach Davos - dafür sprechen Sie am 9. Januar in Bern im Rahmen der globalisierungskritischen Veranstaltungsreihe «Perspektiven nach Davos» und reisen anschliessend nach Porto Alegre. Wie kommt das?
Konrad Raiser: Die Teilnahme am WEF in New York war eine wichtige Erfahrung. Diesmal habe ich die Einladung vorab aus zeitlichen Gründen nicht annehmen können. Hinzu kommt freilich, dass ich nicht davon überzeugt bin, dass das WEF für den Weltkirchenrat der geeignete Rahmen ist, über Alternativen zur wirtschaftlichen Globalisierung zu diskutieren.

Anders Kirchenbund und Brot für alle: Sie suchen am Open Forum Davos das Gespräch mit dem WEF...
Auch der ÖRK wird den Dialog mit Vertretern des WEF fortsetzen. Der kritische Austausch mit wirtschaftlichen und politischen Führungspersönlichkeiten gehört zum Mandat der Kirchen. So verstehe ich auch die Beteiligung des SEK.

Ihre Hauptkritik an der Globalisierung?
Dass sie einer absolut gesetzten Marktlogik folgt, welche die Spaltung der Welt zwischen Arm und Reich vertieft, statt sie wirksam zu überbrücken. Die neoliberale Grundorientierung verstellt den Blick auf die elementaren Forderungen der sozialen Gerechtigkeit und des Gemeinwohls.
Das internationale Finanzsystem, das sich weitgehend von der realen Ökonomie abgelöst hat, ist eine der Hauptursachen für die dramatischen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft.
Welche Aufgabe haben die Kirchen?
Die Kirchen müssen lernen, sich als Teil der Zivilgesellschaft zu begreifen und sich zu lösen von der Vorstellung, dass sie nur ernst genommen werden, wenn sie unmittelbar «politikfähige Vorschläge» vorlegen. Ihre Hauptaufgabe ist es, für die Würde der Menschen und für deren elementare Grundbedürfnisse vor den Interessen der Wirtschaft einzutreten. In diesem Sinn hat das Globale Ökumenische Aktionsbündnis, in dem der ÖRK mit einer Vielzahl kirchlicher Initiativen und Partner zusammengeschlossen ist, eine Kampagne «Handel für Menschen statt Menschen für den Handel» lanciert.

Die reformierten Kirchen diskutieren weltweit, ob die mit der Globalisierung einhergehende Kluft zwischen Arm und Reich ein Glaubensbekenntnis erfordert (status confessionis) - so wie einst gegen Hitler und die Apartheid: Ist die Globalisierungsfrage für ChristInnen eine ähnliche Herausforderung wie die Apartheid?
Ohne Zweifel stellt die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich die Christen und Kirchen vor eine zentrale ethische Herausforderung. Von einem Status confessionis zu sprechen, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Globalisierung offen im Widerspruch zum christlichen Bekenntnis stünde. Im Fall der Apartheid und unter dem Nationalsozialismus war dies angezeigt. Im Fall der Globalisierung bin ich sehr zurückhaltend. Eher geht es heute darum, den christlichen Glauben in Weiterführung des ökumenischen Engagements für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu bekennen.

Interview: Samuel Geiser, Martin Lehmann

Buch: Konrad Raiser: For a culture of life: Transforming globalization and violence, WCC Publ., Geneva 2002,
ISBN 2-8254-1364-X

AutorIn: Martin Lehmann, Samuel Geiser

   
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